NSA hörte offenbar bereits Kanzler Schröder ab
Der US-Geheimdienst NSA hat nach
Recherchen des NDR und der "Süddeutschen Zeitung" offenbar bereits das
Telefon des damaligen Bundeskanzlers Schröder abgehört. Anlass war
demnach Schröders Konfrontationskurs vor dem Irak-Krieg.
Von Georg Mascolo und Stephan Wels, NDR
Auch der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder
ist offenbar vom amerikanischen Geheimdienst NSA abgehört worden. Nach
Recherchen der "Süddeutschen Zeitung" und des NDR hat die NSA Schröder
spätestens 2002 unter der Nummer 388 in die sogenannte "National Sigint
Requirements List" aufgenommen. In dieser Liste werden die Personen und
Institutionen geführt, die überwacht werden.
Übereinstimmend schildern Quellen aus amerikanischen Regierungskreisen sowie NSA-Insider, dass Schröders Konfrontationskurs gegen die USA bei der Vorbereitung des Irak-Kriegs und die Sorge vor einem politischen Bruch in der NATO der Grund für die Überwachung waren.
Schröder erklärte dazu auf Anfrage: "Damals wäre
ich nicht auf die Idee gekommen, von amerikanischen Diensten abgehört zu
werden; jetzt überrascht mich das nicht mehr." Er habe sich vor
Bekanntwerden der NSA-Affäre das massenhafte Ausspähen nicht vorstellen
können. Auch in deutschen Regierungskreisen wird seit langer Zeit
vermutet, dass schon die frühere rot-grüne Regierung Ziel von
Ausspähungen durch die NSA war.
Der Grünen-Abgeordnete Christian Ströbele
bestätigte die Information. Es sei "tatsächlich so gewesen, dass
2002/2003 Bundeskanzler Schröder und vermutlich auch andere aus der
damaligen rot-grünen Bundesregierung abgehört worden sind. Der Grund
dafür scheint ja gewesen zu sein, dass die US-Seite sich informieren
wollte über die Position Deutschlands zum Irak-Krieg und insbesondere
über Aktivitäten Deutschlands zur Verhinderung eines UNO-Beschlusses."
Snowden-Dokument stützt Aussagen
Die Aussagen der amerikanischen und der deutschen
Quellen werden auch durch ein Dokument aus dem Bestand des
Whistleblowers Edward Snowden gestützt. Das Papier, das offenbar aus
jüngerer Zeit stammt, nennt das Jahr 2002 als Beginn der Lauschaktion
und den Namen der Kanzlerin Angela Merkel. Bislang war es so
interpretiert worden, dass ein Handy der Kanzlerin vor zwölf Jahren
erstmals ausgespäht worden sei. Damals war Merkel noch CDU-Vorsitzende.
NSA-Insider, denen die "SZ" und der NDR eine
Abschrift des Snowden-Dokuments vorlegten, erklären das Papier nun neu:
Der Auftrag des Abhörprogramms habe nicht der Person, sondern der
Funktion gegolten. Das Dokument zeige lediglich, dass seit 2002 der
jeweilige Bundeskanzler abgehört worden sei. Auf der "National Sigint
Requirement List" sei jeweils der aktuelle Name des Kanzlers oder der
Kanzlerin notiert worden. Demnach wurde Merkel vermutlich ab 2005
abgehört, quasi als Nachfolgerin von Schröder.
Ströbele fordert Snowden-Aussage in Berlin
Christian Ströbele forderte, auch diesen Vorgang
im Untersuchungsausschuss zu besprechen: "Ich denke, das ist ein
weiterer Grund, um mit allen Möglichkeiten zu versuchen aufzuklären, was
seit 2002 tatsächlich gelaufen ist. Aber auch jemanden hierher nach
Deutschland zu holen, der uns die Dokumente authentisch interpretieren
kann. Und das wäre Edward Snowden."
Der Auftrag für die NSA, das gilt offenbar für
den Fall Schröder wie für den Fall Merkel, soll nicht nur die Erfassung
der Verbindungsdaten, sondern auch des geschriebenen und gesprochenen
Wortes vorgesehen haben. Deutsche Regierungsquellen sprechen von der
"Erfassung von Regierungskommunikation". Damit wird unterstellt, dass
weit mehr Personen als der amtierende Regierungschef Ziel der Erfassung
waren. Unklar ist, ob schon vor 2002 entsprechende Aufträge existierten.
Auch ist bislang kein Snowden-Dokument aufgetaucht, das Aufschluss über
frühere Praktiken geben könnte.
Inzwischen erklärte US-Präsident Barack Obama,
dass Merkel während seiner Amtszeit nicht mehr abgehört werde. Die NSA
wollte sich auf Anfrage zu dem Vorgang nicht äußern.
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