(Article in German )
In den umkämpften Millionenstädten im
Osten der Ukraine hofft die Bevölkerung auf nichts mehr als auf ein Ende
der Gefechte. Hunderttausende Menschen leben in Städten wie Donezk oder
Lugansk ohne Wasser, Strom und Geld. Wer kann, flieht aus der Region
oder ganz aus dem Land
Lana Michailova ist raus, weg aus Donezk, nach
über 40 Jahren. Eigentlich könnte die Millionenstadt im Osten der
Ukraine Ärztinnen wie sie nur allzu gut gebrauchen. Aber vor zwei Wochen
war endgültig Schluss. Michailova packte ihre Sachen und ging,
flüchtete zu Verwandten nach Litauen. "Wir wussten nicht, was Krieg
wirklich bedeutet", sagt sie. "Wir konnten uns nicht daran gewöhnen."
Die 44-jährige Sportmedizinerin aus Donezk ist
nur eine von rund eintausend Kriegsflüchtlingen pro Tag. Die Vereinten
Nationen sprechen mittlerweile von 3,9 Millionen Menschen, die
unmittelbar von den Kämpfen in der Ukraine betroffen sind.
Die Menschen in Donezk, berichtet Lana, stehen
unter Schock. "Keiner von meinen Arbeitskollegen hat sich vorstellen
können, dass so etwas hier passieren kann." Immerhin sei Donezk eine
Millionenstadt, und die rund zwei Millionen Einwohner hörten jetzt
ständig Schüsse und Explosionen, ohne genau zu wissen, wo und wen es
gerade getroffen habe.
Der Krach der Panzer, der Raketenwerfer und
Mörsergranaten macht mürbe. Marija, ihre 14-jährige Tochter, hätte
enorme Stresssymptome gezeigt, erzählt die Ärztin. Anfangs hätten sie
noch versucht, sich einzubilden, dass schon nicht so schrecklich werde.
"Dann aber ist die ganze Stadt abgestorben. Die Autos verschwanden, die
Leute gingen weg. Wir haben gemerkt: Unsere Stadt ist besetzt! Als ich
mit meiner Tochter auf unserem Balkon stand und die ganzen
Militärkolonnen sah, da hatte ich begriffen: Jetzt müssen wir abhauen.“
Die Infrastruktur im Osten der Ukraine ist längst
zerstört. Strom gibt es kaum noch und Wasser oft nur für ein paar
Stunden. Michailova erzählt von ihren alten Nachbarn, wie sie mit
Kanistern und Eimern losziehen, in der Hoffnung auf ein bisschen Wasser.
"So gut es eben ging, haben wir alle Graupen,
Fleisch, Salz und Zucker gehamstert. Jeder hat so viel nach Hause
geschleppt, wie er es sich leisten konnte." Aber auch das sei zuletzt
nicht mehr möglich gewesen. "Die Bankautomaten sind außer Betrieb, die
Gehälter werden nicht ausgezahlt und die Regale sind leer. Unsere Banken
hat man regelrecht ausgeraubt." Bewaffnete Banditen hätten alles Geld
mitgenommen, "für die Revolution", hätten sie gesagt.
Lana Michailova ist eine drahtige, sportliche
Frau. Nichts an ihr wirkt wehleidig oder gar so, als würde sie
vorschnelle Urteile fällen. Nur bei einer Sache wählt die Ärztin dann
doch sehr deutliche Worte. Man müsse sich die selbsternannten
Separatisten doch nur einmal ansehen, meint sie: acht Jahre Schule, dann
nur noch perspektivlose Leere. Ja, man könne die "Banditen" an ihren
Gesichtern erkennen.
"Die russischen Sender berichten das eine, die
ukrainischen dann wieder das komplette Gegenteil. Wenn ich mich mit
anderen unterhalte, merke ich sofort, wer welchen TV Sender geguckt
hat."
Zu viel Propaganda, zu viele Granaten. Michailova
konnte nicht mehr. Mag sie auch noch so zupackend wirken, irgendwann
war es genug. Die Frau aus Donezk will erstmal in Litauen bleiben. Und
wann geht es zurück? Michailova schüttelt ihre blonden Haare. Keine
Ahnung, meint sie. Nicht, bevor dieser Wahnsinn zu Hause wirklich ein
Ende hat.
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